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Was können wir von dem Erfolg der TTIP-Kampagne lernen?

von Karl-Heinz Peil, Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V., Frankfurt a.M.

Am 23. April demonstrierten in Hannover 90.000 Menschen gegen TTIP. Abermals übertraf die Teilnehmerzahl alle Erwartungen, nachdem bereits am 10.10.2015 in Berlin ein Teilnehmerrekord mit 250.000 Teilnehmern zu verzeichnen war. Ein Jahr zuvor – am 19.4.2015 – gingen beim globalen TTIP-Aktionstag an über 200 Orten mehr als 20.000 Menschen auf die Straße. Für den 24.9. sind in sechs deutschen Großstädten weitere TTIP-Demos in Vorbereitung.
Für die Friedensbewegung bleiben jedoch derzeit nur die Erinnerungen an Großdemos wie zuletzt im Februar 2003 in Berlin mit 500.000 Teilnehmern gegen den damals drohenden Irak-Krieg.
Heute gäbe es überzeugende Gründe für einen vergleichbaren friedenspolitischen Massenprotest, die aus mehreren Konfliktherden mit Potenzial zur globalen Eskalation einschließlich eines Atomkrieges resultieren, aber bisher nicht zu entsprechender Mobilisierung geführt haben.
Die Massendemonstrationen der Friedensbewegung in Bonn 1981 bis 1983 mit bis zu einer halben Million Teilnehmern war möglich wegen der realen Angst vor einem alles vernichtenden Atomkrieg. („Wer als erster schießt, stirbt als zweiter“). Wir wissen heute, dass diese Angst real begründet war und die Welt damals nur durch glückliche Umstände an einem Atomkrieg “aus Versehen” vorbei geschrammt ist. Obwohl mittlerweile aber die Situation zwischen Nato und Russland in einer Weise eskaliert ist, die sogar noch gefährlicher ist als Anfang der 80er Jahre, wird diese Bedrohung nicht als persönliche Betroffenheit wahrgenommen.

Persönliche Betroffenheit durch TTIP

Die Gründe für die erfolgreiche Massenmobilisierung gegen TTIP sollten deshalb Rückschlüsse zulassen, mit welcher inhaltlichen Ausrichtung wir als Friedensbewegung mehr Präsenz erreichen können.
Die mit TTIP verbundenen Einzelthemen sind zunächst wesentlich unspektakulärer als eine drohende globale Kriegsgefahr. Schiedsgerichte, Umweltstandards und Investitionsschutz sind zudem relativ abstrakte Schlagworte.
Die Bereitschaft, dazu auf die Straße zu gehen, hat in erster Linie etwas mit persönlicher Wahrnehmung und Betroffenheit zu tun. Wer sich gegen TTIP engagiert, spürt den drohenden, massiven Verlust demokratischer Rechte sowie sozialer und Umweltstandards zugunsten der Stärkung von Konzernmacht diesseits und jenseits des Atlantiks.
Den Begriff der drohenden Wirtschaftsdiktatur brachte erst kürzlich wieder Oskar Lafontaine bei einer Kundgebung der Linken in Hannover ins Spiel. Wer der Meinung ist, dieses sei übertrieben, der möge sich die von Angela Merkel bereits vor einigen Jahren formulierte Zielsetzung einer “marktkonformen Demokratie” auf der Zunge zergehen lassen – ein Euphemismus für die mit TTIP angestrebte Wirtschaftsdiktatur.
Welche inhaltlichen Aspekte bei TTIP sind vergleichbar mit Forderungen bzw. Herausforderungen der Friedensbewegung?

Kooperation statt Konfrontation

Nicht offen erklärtes, aber eindeutig vorhandenes Ziel des TTIP-Abkommens diesseits und jenseits des Atlantiks ist die Aufrechterhaltung der Wirtschaftsmacht gegenüber den BRICS-Staaten, weshalb auch der Begriff “Wirtschafts-Nato” die Runde macht.
Es geht um Ausgrenzung von anderen Ländern, speziell gegen die zunehmende wirtschaftliche Stärke Chinas. Ginge es wirklich um vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen für die Menschen (sprich: Arbeitsplätze), dann ergäbe sich mit dem wirtschaftlichen Entwicklungspotenzial Russlands ein idealer Weg, wie mehrfach von dem russischen Präsidenten Putin vorgeschlagen – anstelle von andauernden Wirtschafts-Sanktionen.

(Geheim-)Verträge unterlaufen Grundgesetz und Völkerrecht

Kern der Debatte um TTIP ist die geplante Etablierung von Schiedsgerichten, die rechtliche Schutzmechanismen auf nationaler und EU-Ebene durch eine Hintertür aushebeln würden. Für die Friedensbewegung stellt sich bereits seit langem die Situation, dass die Bundeswehr in völkerrechts- und grundgesetzwidrige Auslandseinsätze involviert ist. Gerichtliche Klagen hiergegen waren und sind ohne Erfolgsaussichten, weil sich die Gerichte stets auf übergreifende Bündnisverpflichtungen berufen, die aufgrund Artikel 24 des Grundgesetzes prinzipiell möglich sind, im Sinne des Abtretens von nationalen Souveränitätsrechten. Die per Verfassungsgericht bestätigte Interpretation dahingehend, dass Bundeswehreinsätze im Ausland damit quasi per höherer Gewalt möglich sind, ist natürlich eine Verbiegung von Geist und Inhalt des Grundgesetzes.
Ausgehebelt wird damit vor allem der Artikel 26 des Grundgesetzes, der die Vorbereitung und Führung von Angriffskriegen verbietet.

Verträge sind kündbar

Der formelle Zusammenhalt der Nato erfolgt über ein Vertragswerk, das von einzelnen Mitgliedsländern ganz oder teilweise aufgekündigt werden kann. In der Geschichte der Nato gab es diesen Fall bereits einmal, mit dem 1966 erfolgten Ausscheiden Frankreichs aus den militärischen Strukturen der Nato. Als Konsequenz daraus musste der Nato-Stab von Paris nach Brüssel verlegt werden. Hintergrund dafür waren damals die eigenen Großmacht-Ambitionen Frankreichs unter Präsident de Gaulle, denen das Unterstellen eigener militärischer Strukturen unter Nato- und letztlich US-Kommando im Wege war.
Umgekehrt ist es heute so, dass die militärische Integration Deutschlands in der Nato auch eine nukleare Teilhabe eröffnet und damit den von Deutschland ratifizierten Atomwaffen-Sperrvertrag unterläuft. Während einerseits der Deutsche Bundestag im März 2010 mit großer Mehrheit die Bundesregierung aufforderte, die vorhandenen US-Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, ist die Forderung nach Verzicht auf eine nukleare Teilhabe derzeit bei CDU/CSU und SPD im Bundestag kein Thema – begründet mit Nato-Bündnisverpflichtungen.
Die Forderung nach einem Ausscheiden aus den militärischen Strukturen der Nato oder auch lediglich einer Kündigung des Stationierungsabkommens1 würde damit einen Nerv der deutschen Politik treffen.

Persönliche Betroffenheit ist ein Mobilisierungsfaktor

Der Verweis auf vertragliche Verpflichtungen führt auch dazu, dass den individuell Betroffenen jegliche Befugnis zur gerichtlichen Klage abgesprochen wird. Zuletzt musste dieses Wolfgang Jung aus Kaiserslautern erleben, der vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die völkerrechts- und verfassungswidrige Nutzung der US Air Base Ramstein geklagt hatte und dabei in der mündlichen Verhandlung auch eine persönliche Erklärung abgab2 . Darin heißt es:
„Die Anwohner der Air Base Ramstein wissen schon Wochen vorher, dass wieder eine neue US-Militärintervention im Mittleren Osten oder in Afrika bevorsteht, weil der über diese Base abgewickelte Flugverkehr zum Transport von Truppen, Bomben und Raketen dann signifikant zunimmt.“
Ähnliche Betroffenheit gilt für Anlieger von Truppenübungsplätzen, wie z.B. Grafenwöhr, wo gleichfalls erhebliche Lärmbelästigungen hingenommen werden müssen.

Zwecklügen sind durchschaubar

Die jüngst geleakten, bisher als streng geheim gehandhabten TTIP-Dokumente haben letztlich nur einen geringen Sensationswert, da sie genau das bestätigen, was von Gegnern bisher behauptet und von Befürwortern vehement bestritten wurde. Die Bedeutung der veröffentlichten TTIP-Dokumente besteht vor allem darin, dass offensichtliche Lügen glasklar hervortreten. Damit hat die offizielle Politik gegenüber der Bevölkerung ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, das sich offenbar als Katalysator für verstärkte Proteste erweist.
Für die Friedensbewegung stellt sich seit jeher das Problem: Alle Kriegsbegründungen sind offensichtliche Lügen, aber regelmäßig zunächst als solche nicht beweisbar. Erst im Nachhinein – wenn die Kriegslügen ihren Zweck erfüllt haben – werden diese als solche durch geleakte oder (nach langen Jahren) freigegebene Geheimdokumente identifiziert.

Abgrenzung gegen rechts ist unkompliziert

In der Friedensbewegung wird von einigen Akteuren eine Debatte über Querfront-Aktivitäten bzw. vermeintlich rechts-offene Positionen geführt, was lähmende Wirkungen bei manchen Aktionen hat.
Dabei ist eine Abgrenzung nach rechts unkompliziert, wenn man beispielhaft den Umgang des Trägerkreises für TTIP-Demos sieht, wo die Positionierung gegen Vereinnahmungen von rechts in knappen und präzisen Worten erfolgt:
„Wir treten ein für eine solidarische Welt, in der Vielfalt eine Stärke ist. Auf unserer Demonstration gibt es keinen Platz für Rassismus, Rechtspopulismus und Antiamerikanismus.“ 3
Natürlich wird bei TTIP-Befürwortern in der Politik und der bürgerlichen Presse dennoch vor allem die Antiamerikanismus-Keule geschwungen und auch seitens der AfD zu TTIP-Demos aufgerufen, obwohl deren Präsenz ausdrücklich unerwünscht ist. Tatsächlich gab es auch bei der letzten TTIP-Demo keinerlei sichtbare AfD-Präsenz.
Prinzipiell noch einfacher zu handhaben ist dieses Problem für die Friedensbewegung, wo lediglich auf die Solidarität mit Flüchtenden hinzuweisen ist, die als Opfer von US- und Nato-Kriegen zu uns kommen. Rechtspopulisten positionieren sich hier eindeutig für die Abschottung von Grenzen und Flüchtlingsabwehr.

Die Ramstein-Kampagne hat bundesweites Potenzial

Widerstand gegen Kriegsvorbereitungen sollte alle besonderen Militärstandorte einbeziehen: Kommandozentralen, Logistikzentren und Truppenübungsplätze. Meistens sind diese im Fokus lokaler und regionaler Friedensinitiativen. Ramstein hat das Potenzial für eine längerfristig angelegte Kampagne. An diesem Ort sind Kriegsvorbereitungen (Logistik) und Kriegsführung (Relaisstation für Kampfdrohnen) gegenwärtig, die Gesamtheit der US-Militäreinrichtungen in Ramstein und im weiteren Umkreis führt zu persönlicher Betroffenheit.
Inhaltlich kann hier die Relevanz von Nato-Verträgen bzw. „Bündnis-Verpflichtungen“ als wesentlicher Teil der aktiven Kriegspolitik Deutschlands gezeigt werden, die ähnlich wie bei TTIP zur Aushebelung gesetzlicher Standards führen. In beiden Fällen wird versucht, eine Politik gegen die entschiedene Mehrheit der Bevölkerung mit offensichtlichen Lügenkonstrukten und Propaganda rücksichtslos durchzusetzen.

TTIP-Themen sind friedenspolitische Themen

Im Entwurf des Aufrufes zum geplanten bundesweiten Aktionstag der Friedensbewegung am 8.10. heißt es:
„Die Welt braucht globale Gerechtigkeit. Deshalb lehnen wir neoliberale Freihandelszonen, ökologischen Raubbau und die Vernichtung von Lebensgrundlagen ab.“
Ein Haupt-Motto für den 8.10 lautet: „Kooperation statt Konfrontation“. Dieses könnte man ergänzen mit: „Wir wollen weder die Nato noch eine Wirtschafts-Nato“. Sorgen wir dafür, dass damit der TTIP-Widerstand auch als Friedens-Massenbewegung sichtbar wird.

 

1 siehe dazu: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_13/LP20714_291214.pdf bzw. in aktualisierter Form auch im Friedensjournal Nr. 3/2016, als PDF abrufbar unter: http://www.frieden-und-zukunft.de/pdf/fj/FJ_2016-3.pdf

2 siehe dazu: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP04816_060416.pdf

3 abgedruckt auf der Homepage http://ttip-demo.de/home/ (Stand: 7.5.2016)